Mit der Schulklasse gemeinsam die Ausstellung konzipieren, ein Sonderfall?
Als wir im Dezember 2020 unsere erste Eingabe für „Prozessor“ vorbereiteten, wussten wir vor allem, dass wir Objekte nach ihrer Herkunft befragen wollten. Zusammen mit Jugendlichen wollten wir aus einer kolonialismuskritischen, diskriminierungssensiblen und ökologisch informierten Perspektive unsere Alltagsobjekte genauer beleuchten, davon ausgehend über unsere Gegenwart nachdenken und Beiträge für eine gemeinsame Ausstellung entwickeln – so viel zu unserem inhaltlichen Anspruch. Auf der Vermittlungsebene war uns wichtig, diesen Prozess selbst zum Teil der daraus resultierenden Ausstellung zu machen. Mit der Förderzusage der Jury gründeten wir, den Anforderungen des Fördergefässes folgend, den Verein expositu. Der Name ist Programm: Ausstellungsprojekte entstehen ortsspezifisch, zudem bildet das Bewusstwerden der eigenen Positionierung der Teilnehmenden die Ausgangslage für eine situierte Auseinandersetzung. Bedingung für diese Art der Projektarbeit ist die Bereitschaft der Institution, sich auf den von uns vorgesehenen Grad der Teilhabe mit der Gruppe einzulassen. Denn: wir zielten auf die eigenständige Autorschaft der Schülerinnen und Schüler ab und entwickelten die Inhalte im Prozess.
Prozessoffenheit als Herausforderung?
Schon bald merkten wir, dass diese Prozessoffenheit die angefragten Institutionen vor strukturelle und inhaltliche Herausforderungen stellte. Viele Museen planen weit im Voraus und sind bemüht darum, ihre Kulturvermittlung eng an die programmierten Themen zu knüpfen. Die Idee, dass die Kulturvermittlung selbst die Inhalte der Ausstellung herstellt, ist dabei ungewohnt.
Inhaltlich stand unser Ansatz bei etablierten Museen zudem in einem Konflikt bezüglich der Deutungshoheit der Erzählungen. Wie viel Ausstellungsfläche und Werbemassnahmen sollen für ein Projekt zur Verfügung gestellt werden, wenn der institutionelle und gesellschaftliche Nutzen noch nicht absehbar ist? Wird durch die repräsentierten Beiträge von Laien (bei uns die Schülerinnen und Schüler) Wissen von Expertinnen und Experten in Frage gestellt? Sind Beiträge von Schülerinnen und Schülern genug relevant, dass sie nicht nur in einem Klassenzimmer, sondern auch in einem Museum gezeigt werden sollten?
Sind multiperspektivische Zugänge in grossen Museen überhaupt möglich?
Als wir nach langer Suche dank einem wohlwollenden Netzwerk im Kunstraum Baden als institutioneller Ausstellungspartner gelandet sind, wurde uns erst wirklich bewusst, welche Vorzüge ein kleiner Kulturbetrieb für unseren Vermittlungsansatz bieten kann. Dank direkten Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern sowie flachen Hierarchien konnten sämtliche Entscheidungen innert Kürze gefällt werden. Im späteren Projektverlauf erlaubten diese agilen Strukturen spontane Anpassungen bereits getroffener Absprachen. Am meisten jedoch profitierten die Schülerinnen und Schüler von diesem Umfeld. Sie wurden vorbehaltslos in einem für sie unbekannten Kunstort empfangen und durften diesen mit eigenständigen Beiträgen erfahren und mitgestalten. Einige von ihnen nutzten die Gelegenheit, sich dieses Umfeld anzueignen. Spürbar wurde dies vor allem dann, wenn Schülerinnen und Schüler nach Unterrichtsschluss im Kunstraum blieben, um weiterzuarbeiten. Da der Kunstraum experimentelle Ansätze gewohnt ist, gab es bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung keine Einschränkungen. Egal ob die Beiträge der Schülerinnen und Schüler eigene Lebenserfahrungen und Biografien zum Thema hatten, Gesellschaftskritik ausübten oder rein faktenbezogen Dinge kommentierten. Die institutionelle Offenheit stellt somit die wichtigste Bedingung für die Umsetzung unseres Vermittlungsansatzes dar. Rückblickend fragen wir uns, ob diese Voraussetzung in einem grossen Museumsbetrieb überhaupt möglich ist. Wir würden uns gerne vom Gegenteil überzeugen lassen.
Wegweiser für neue Wege der inklusiven Vermittlungsarbeit
Für diesen Blog-Beitrag wurden wir gebeten, einen Leitfaden für andere Vermittlungsgruppen zusammenzustellen, die, wie wir, von aussen sowohl auf die Kultureinrichtung als auch auf die Schulen mit ihren Projektideen zugehen. Es wäre falsch zu behaupten, dass es einen „richtigen“ Weg gibt. Die oben beschriebenen Verhältnisse deuten eher darauf hin, dass, wenn Experimentieren Teil des Vermittlungskonzepts ist, kleinere, weniger im Fokus kultur- oder gesellschaftspolitischer Beobachtung stehende Institutionen sich besser für eine Zusammenarbeit eignen. Kulturvermittlung ist aufwändig und kostspielig. Kleine Institutionen profitieren besonders von externen Gruppen und Projekten, da sie oftmals nicht über die notwendigen personellen Ressourcen verfügen, um selbst solche Projekte zu initiieren und umzusetzen. Ebendiese mangelnden personellen Ressourcen kommen umgekehrt dem Vermittlungsteam zugute, da es mehr Entscheidungen selbst treffen muss und somit über einen weitreichenden Gestaltungshorizont verfügt.
Es lohnt sich doch!
Das Ergebnis ist ein ausserschulischer Lernort, in welchem Schülerinnen und Schüler neue Kompetenzen ohne Leistungsdruck erwerben und durch die Aneignungen Schwellenängste abbauen, da ihre Anliegen sichtbar werden. Dieses Umfeld gibt Lehrpersonen die Gelegenheit, als beobachtende Teilnehmende eine andere Wertschätzung für ihre Klassen zu entwickeln. Und für die Klasse wiederum ermöglicht es wachsenden Zusammenhalt durch das gemeinsame Erlebnis, durch gegenseitiges Feedback und Zusammenarbeit.
Unverändert bleibt diese Art der Projektarbeit ein Balanceakt zwischen dem Lehrplan in den Schulen und den real bestehenden Verhältnissen an Museen oder anderen Kulturinstitutionen. Der Vermittlungsauftrag der Projektgruppe findet daher vordergründig für die Schülerinnen und Schüler statt, dahinter jedoch zwischen allen anderen Beteiligten und schliesslich auch gegenüber den Förderstellen und Stiftungen. Im besten Fall werden so nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern Lernprozesse in Gang gesetzt, sondern auch in den Institutionen und im Kulturbereich.
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