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„Artists in Residence an Schulen“ in Zeiten der Pandemie

Für sieben Wochen hat die Künstlerin Carmela Gander ihr Atelier an die Primarschule Umiken verlegt. In dieser Zeit entstand in der Zusammenarbeit mit dem Kindergarten und den Schulklassen der Primarschule Umiken ein grosses gemeinsames Werk.

Kinder sitzen in einer mit Schwarzlicht beleuchteten Turnhalle
Foto: Christian Hartmann

Kunstvermittlungsprojekte trotz Corona – eine Herausforderung mit vielen Chancen

In Zeiten der Pandemie wurde der Unterricht in der Schule auf das Lernen in der eigenen Klasse reduziert. Besuche in Museen, Klassenfahrten, Lager, Theater, alles war „on hold“. Ein quartallanges Kunstvermittlungsprojekt mit einer ganzen Primarschule schien vorerst unmöglich – und wurde jedoch dank dem flexiblen Einsatz aller Beteiligten zum grossen Erfolg – trotz Corona.

Carmela Gander an der Primarschule Umiken (Brugg)

Für sieben Wochen verlegte die Künstlerin Carmela Gander ihr Atelier an die Primarschule Umiken. In dieser Zeit entstand in der Zusammenarbeit mit dem Kindergarten und den Schulklassen der Primarschule Umiken ein grosses gemeinsames Werk.
Carmela Gander ist eine Künstlerin und Illustratorin aus Luzern. Ihre Arbeit kreist um das Thema der Erinnerung, das sie mittels Installationen, Zeichnungen mit der Nähmaschine, Objekten und Lichtspielen erforscht. Der sprichwörtliche rote Faden zieht sich in Form von leuchtend neonorangem Garn quer durch ihr Werk. Ihr vielfältiger, poetischer und verspielter Umgang mit Material und Thema bietet eine Vielzahl von Einladungen an die Schülerinnen und Schüler, sich auf ihre Art von Kunstschaffen einzulassen und darin eigene Erfahrungen machen zu können.

ein Bub ist von Leuchtfäden umgeben
© Jonas Studer

Ausgehend von dem Jahresthema „Wald“ der Schule Umiken erforschten die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit der Künstlerin den Wald. Vom Kindergarten bis zu der 6. Klasse verbrachten alle Schülerinnen und Schüler den ersten Teil des Projekts draussen in der Natur. Dies war sowohl thematisch als auch im Anbetracht der epidemiologischen Lage sinnvoll.

Corona als Herausforderung und Chance

Die Projektierung von Kunst- und Kulturvermittlungsprojekten an Schulen setzte schon vor Beginn der Pandemie viel Flexibilität aller Beteiligten voraus. Seit uns das Virus Covid-19 so einiges im Leben auf den Kopf gestellt hat, wurde diese Arbeit noch etwas vielschichtiger. Für viele neue Herausforderungen galt es innovative Lösungen zu finden. Mit der Luzerner Künstlerin Carmela Gander und der Primarschule Umiken wagten wir die Durchführung mitten in der Pandemie.

Analoge und digitale Treffen

Die ersten Meetings mit der Schule fanden halb analog, halb digital statt. Da die Anzahl Personen in Räumen stark eingeschränkt waren, traf man sich virtuell zugeschaltet in dem grossen Saal der Schule. Der darauffolgende Atelierbesuch bei Carmela Gander in Luzern konnte leider nicht wie ursprünglich geplant stattfinden. Dieser für das Projekt essentielle Teil ist oft wegweisend für die kommende Zusammenarbeit zwischen dem Lehrpersonen-Team und der Kulturschaffenden sowie der Vermittlungsfachperson, denn meist wohnt in den Ateliers ein gewisser Zauber inne, der sich nicht in ein Schulhaus übertragen lässt, was ein bleibendes Erlebnis ermöglicht, das prägend für das ganze Projekt sein kann. Da Besuche solcher Art nicht möglich waren, wurde der Event dank neuer Technik digital durchgeführt und der geplante gemeinsame Kennenlern-Apéro zu Hause per Zoom eingenommen. Dies klappte erstaunlich gut und dank guter Vorausplanung konnten alle Beteiligten mit den ihnen zugeschickten Materialen zu Hause einen kleinen Kreativ-Workshop erleben, um einen Einblick in die Arbeitsweise der Künstlerin zu bekommen.

ein Bub mit einem Mikroskop
© Jonas Studer

Der erste Kontakt mit den Klassen, der Kennenlerntag vor dem Projektstart, konnte zum Glück ganz real vor Ort stattfinden. Plötzlich verbringt man nicht mehr den Tag alleine vor dem Bildschirm, sondern trifft sich mit über hundert Kindern, Lehrpersonen und Assistenzen, der Schulleitung und dem Hauswart. Von Null auf Hundert in sehr kurzer Zeit. Einerseits eine Wohltat und andererseits doch auch eine Herausforderung. Während eines ganzen Schultags besuchten uns alle Klassen für eine halbe Stunde und konnten so Carmela Gander und ihre Arbeit kennenlernen.

Ein herzlicher Empfang

Am Starttag nach den Sportferien waren dann alle Lehrpersonen anwesend, auch die, die wir bisher nur aus der digitalen Ferne kannten. Zwar maskiert, jedoch real im selben Raum. Man kennt sich irgendwie – und man hat sich trotzdem noch nie gesehen. Der Empfang war herzlich und doch war unser Ankommen nicht ganz für alle klar und wir hörten Stimmen, die uns mitteilten: „Also, was genau für ein Projekt macht ihr nun hier bei uns?“ oder: „Was, ich kann im nächsten Quartal nicht in den Werkraum (unser Atelier)? Das war mir nicht bewusst“, etc. Zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass durch die digitale Vorbereitung das Projekt weniger Präsenz und Verbindlichkeit erhalten hat. Nichtsdestotrotz fanden wir dann gute Lösungen für alle noch offenen Fragen und das Projekt konnte endlich losgehen.

Kinder stehen im Wald an Bäumen und zeichnen
© Jonas Studer

Ausstellung analog oder nur digital

Die immer wieder wechselnden Regeln zum Schutz der Bevölkerung waren eine Herausforderung für die Planung der Abschlussausstellung. Die Projektanlage sieht vor, dass die Abschlussausstellung eine überregionale Ausstrahlung haben soll und die Arbeit der Kulturschaffenden und der Kinder mit einem grossen Ereignis gefeiert wird. Dieser Teil gehört sogar zu den wichtigen Gelingens-Faktoren des Projekts. Trotz grosser Ungewissheit entschieden wir uns von Anfang an dafür, eine physische Ausstellung zu organisieren, liessen es uns aber offen, wie die Durchführung sein wird. Schlussendlich konnten wir die grossen Räume in und um die Turnhalle bespielen, die eine „Einbahn-Begehung“ erlaubten und genug Platz für jeweils zwei, drei Besucher-Familien boten. Dank langen Öffnungszeiten und einem guten Schutzkonzept regulierte sich der Besucherstrom und es gab nie ein unangenehmes Gedränge. Leider mussten wir jedoch auf eine öffentliche Eröffnungsfeier verzichten, was wir aber schulintern vorfeierten. So bekamen die Schülerinnen und Schüler eine VIP-Eröffnungsfeier am Morgen des ersten Ausstellungstags, mit extra langer Pause und einem kleinen coronasicheren Pausensnack im Plastiksack. Dass die Ausstellung zu den wichtigen Happenings des Projekts gehört, zeigte sich in Umiken einmal mehr. Während den zwei Ausstellungstagen kamen die Schülerinnen und Schüler immer wieder mit Verwandten und Bekannten und führten diese, voller Stolz über die eigene Arbeit, durch die Ausstellung.

Ein Mädchen schaut durch ein Rohr
© Annegret Ruof

Kunst trotz allem

Rückblickend wäre das Projekt ohne die vielen Hürden bestimmt nicht exakt gleich verlaufen. Doch wie genau, dies lässt sich schwer sagen. Diese Nichtvorhersehbarkeit des künstlerischen Kreativprozesses ist nämlich genau die Kerneigenschaft dieser Projektanlage. Der Kunstprozess ist selten geradlinig und fordert von allen Beteiligten immer wieder grosse Flexibilität und Offenheit für Neues – die beste Voraussetzung für eine Durchführung in solch unsicheren Zeiten. Was sich aber sagen lässt, ist, dass sich digitale Meetings auf die Verbindlichkeit von Abmachungen und Vereinbarungen auswirken. Das Sich-Kennenlernen per Zoom funktioniert zwar auf einer etwas oberflächlichen Ebene, kann aber ganz klar einen Besuch vor Ort im Künstlerinnenatelier nicht ersetzen. Dieses meist unvergessliche Ereignis trägt massgeblich zum Gelingen des Projekts bei, inspiriert alle Beteiligten über die gemeinsame Zeit hinaus und setzt so einen wichtigen Grundstein für das gemeinsame Wirken in der Schule. Glücklicherweise setzten wir am Schluss des Projekts auf die analoge Version der Abschlussausstellung.

Kinder sitzen in einer mit Schwarzlicht beleuchteten Turnhalle
© Christian Hartmann

Gewissermassen pokerten wir hoch, in dem wir diese Karte ausspielten – und es lohnte sich! Das Zusammenfügen aller entstandenen Arbeiten zu einem grossen Ganzen, zu einem Gemeinschaftswerk, verlieh dem Projekt für die Schülerinnen und Schüler einen unerwarteten Höhepunkt. Plötzlich wurde vieles sicht- und erfahrbar, das bei der Arbeit im Atelier noch verborgen blieb. Dies löste bei den Schülerinnen und Schülern wie auch beim Lehrpersonen-Team ein ausserordentliches Gemeinschaftsgefühl aus, das während dem Projekt noch nicht spürbar war. Mitzuerleben, wie das ganze Team bei dem Ausstellungsaufbau aktiv mithalf, wie die Kinder mit grosser Freude und voller Stolz die Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung führten, und wie ganz viele fleissige Helferinnen und Helfer beim Abbau bis in die späte Nacht hinein mit dabei waren – dies waren freudige Highlights für mich als Projektverantwortlicher. Ein einmaliges Erlebnis in der schwierigen Zeit einer Pandemie.

Projektdaten

Involvierte Kulturschaffende

Carmela Gander (www.carmelagander.ch)

Zeitraum Projekt 15.02.2021 bis 09.04.2021
Schule(n) Primarschule Umiken
Schulklassen 5 Abteilungen (Kindergarten sowie 1. bis 6. Klasse)
Anzahl Schülerinnen und Schüler 100
Schulstufe(n) Kindergarten und Primarschule
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Jonas Studer

Jonas Studer (Jahrgang 1981, lebt und arbeitet in Brugg und Wimmis) ist als freischaffender Künstler, Kunstvermittler (u.a. für Kultur macht Schule), Pädagoge und Lehrbeauftragter für Kunstwissenschaften in Bild und Kunst an der Professur in Didaktik Kunst & Design Sekundarstufe I und II tätig sowie Co-Founder des eduLAB Thun. Dabei interessiert er sich insbesondere für die experimentelle Analog-Fotografie, Druckgrafik und Malerei sowie für die Erforschung des Kreativ-Prozesses und dessen Mehrwert für das "System Schule". Studers künstlerische Arbeit ist geprägt vom "Tout-Monde"-Gedanken Éduard Glissants, dessen "Poetik der Vielheit" für eine menschliche Identität steht, die sich nicht über die ethnische Abstammung, sondern über die Vielfalt der Beziehungen definiert.

Webseite: http://www.jonasstuder.ch