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Das Ziel ist nicht das Ziel

Kulturprojekte an Schulen gelingen besonders gut, wenn sich Kunst- und Kulturschaffende nicht nur auf die Lernenden, sondern aufs gesamte „Universum Schule“ einlassen. Gallus Staubli, Jurymitglied beim Fördergefäss „Prozessor“, teilt Erkenntnisse zu Stolpersteinen und Erfolgskriterien.

Durchmischte Gegenstände auf einem Tisch.
Woher kommen unsere Dinge?

Bei der Jurierung der 2021 eingereichten Prozessor-Projekte sind mir zwei Projekte besonders aufgefallen:

„Vernetzte Räume“, ein Projekt der Schule Zeihen mit dem HEK (Haus der Elektronischen Künste) in Basel. Ich war beeindruckt von der spürbaren Augenhöhe der Projektpartner/-innen. Und es ist eines von ganz wenigen Projekten, das von der Schule angeregt worden ist. Für den Blogpost habe ich Daniel Jeseneg, Schulleiter der Schule Zeihen, und Patricia Huijnen vom HEK befragt.

„Woher kommen unsere Dinge?“, ein Projekt von drei jungen Kulturschaffenden und Kulturvermittler/-innen. Sie haben es geschafft, im Konzept die Balance zwischen gesetzten und noch offenen Teilen zu halten. Ein attraktives Projekt für potenzielle Partnerschulen und Partnerinstitutionen, die sich selbst einbringen wollen. So konnten die Schule Burghalde in Baden und das Historische Museum Baden mit ins Boot geholt werden. Ich sprach mit dem Projektleiter Jonas Bürgi.

Vier Kinder zeichnen zusammen an einem Bild.
Vernetzte Räume, Schule Zeihen und HEK, 2021. Foto: Eliane Zgraggen

Die Schule Zeihen hat grosses vor

Schulleiter Daniel Jeseneg und sein Team haben in der Vergangenheit schon viel Innovationsarbeit geleistet, sei es im Bereich Beurteilungskultur, der Draussenschule oder für neue Raumkonzepte. Jeseneg meint: „Im Bereich des digitalen Raums und des digitalen Unterrichts betritt die Schule Zeihen mit dem Projekt „Vernetzte Räume“ Neuland. Der Schule ist es ein grosses Anliegen, die schulische Digitalkultur im Sinne der bestehenden pädagogischen Ausrichtung, die auf Selbstständigkeit, Selbstorganisation und Kreativität setzt, zu integrieren. Der Fokus richtet sich mehr und mehr auf die Verschränkung von realen und digitalen Lernräumen in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Die Schule macht die Kinder mit diesem Projekt nun zu zentralen Akteur/-innen in der Schul- und Unterrichtsentwicklung.“ Dank dem Kooperationsprojekt und unter Einbezug von Vermittlerinnen und Vermittlern an der Schnittstelle zwischen Informatik und Kunst wird den Schülerinnen und Schülern zweier Mittelstufenklassen die Teilhabe an der Gestaltung ihrer künftigen Lernräume ermöglicht.

Schritt für Schritt planen und damit agil bleiben

„Wir planen Schritt für Schritt, entsprechend der Rückmeldungen der Kinder und den Bedürfnissen des Projektes“, sagt Patricia Hujinen. „Es ist toll, dass sich alle auf den experimentellen und prozesshaften Charakter des Projekts einlassen. Wir passen uns dem Tempo der Kinder an.“

Handgeschriebener Text über Wahrnehmung von Raum.
Vernetzte Räume, Schule Zeihen und HEK, 2021. Foto: Eliane Zgraggen

Auch Jonas Bürgi betont die Wichtigkeit der Agilität. Im Projekt „Woher kommen unsere Dinge?“ setzen sich Schülerinnen und Schüler einer 2. Bezirksschulklasse mit dem Begriff der Herkunft auseinander. Alltagsgegenstände und museale Sammlungsobjekte werden befragt. Wie verändert sich unsere Wahrnehmung, wenn wir uns mit den Herkunftsgeschichten von Dingen befassen? Das Team der projektverantwortlichen Kulturvermittler/-innen hat zwar einen Ansatz für die Herangehensweise, ist aber vor allem gespannt auf die Zugänge der Lernenden. Als Endprodukt ist eine Ausstellung angedacht, schliesslich bringt das Projektteam dafür auch eine Expertise mit und das Format lässt alle erdenklichen Darstellungsformen zu. „Aber die Dynamik mit den Schülerinnen und Schülern ist nicht vorhersehbar“, sagt Jonas Bürgi.

Verschiedene Objekten von oben fotografiert.
Woher kommen unsere Dinge? Foto: zVg Jonas Bürgi

„An die Noten haben wir nicht gedacht.“

In der Diskussion mit der Lehrperson der Bezirksschulklasse kam im Projekt „Woher kommen unsere Dinge?“ die Frage nach der Bewertung auf. Schliesslich stehen die Schülerinnen und Schüler kurz vor dem Überritt in die Berufslehre oder Kantonsschule und sind damit einem gewissen Leistungsdruck unterworfen. Und das Projekt belegt einen erheblichen Teil von Lektionen: nebst einer Projektwoche zum Abschluss auch die drei Wochenlektionen des Faches „Räume, Zeiten, Gesellschaften“ über zirka zehn Wochen. Die Kulturschaffenden haben an die Leistungsbeurteilung nicht gedacht. Aus ihrer Sicht ist es wichtig, dass nicht die Endprodukte – voraussichtlich Beiträge zu einer Ausstellung – bewertet werden. Doch Lernprozesse und Reflexionen können sehr wohl sinnvoll bewertet werden. Und so konnte das Konzept der Kulturschaffenden doch noch das Universum Schule sinnvoll antizipieren.

Ein Konzept ist nur ein Konzept ist nur ein Konzept

Für Kulturschaffende scheint es verlockend, Kunstprojekte an Schulen auf die immer gleiche, bewährte Art und Weise anzugehen. Mit klaren Vorstellungen von Weg und Ziel. Soll ein Projekt aber Veränderung in der Institution Schule anregen, neue Haltungen und Denkweisen initiieren, dann muss der Schule zugehört werden. Dann müssen die Ziele, welche die Schule verfolgt, mit den Zielen der Kulturschaffenden abgeglichen werden.

Patricia Huijnen vom HEK erzählt: „Das Projekt hatte mit einem Fokus auf Virtual Reality begonnen und hat sich dann ganz von dieser Technologie gelöst. Im Gespräch mit der Schulleitung kamen wir auf den Kern unserer Anliegen: digitale Räume und digitales Lernen in den Schulalltag integrieren und kulturelle Bildung im Digitalen.“

Zeichnende Hand von oben fotografiert mit Skizzenbuch.
Vernetzte Räume, Schule Zeihen und HEK, 2021. Foto: Eliane Zgraggen

Spielt Pingpong!

Ein Spiel am Tischtennistisch macht dann besonders Spass, wenn die Spielenden ein ähnliches Niveau haben und nach den gleichen Regeln spielen. So verhält es sich auch bei kooperativen Kulturprojekten an Schulen. So lobt der Kulturvermittler Jonas Bürgi das grosse Verständnis der kooperierenden Lehrperson der Schule Burghalde für Abläufe und Bedingungen im Kulturbereich. Er und sein Team haben sich im Gegenzug intensiv mit dem Lehrplan auseinandergesetzt und der Schulleitung die richtigen Fragen gestellt:

  • Besteht am Thema ein grundsätzliches Interesse?
  • In welche Gefässe und in welchen Zeitraum passt unsere Projektidee in Ihrer Schule?
  • Passt das Projekt ins Curriculum?
  • Passt das Projekt in die aktuelle Situation mit dem gerade fertiggestellten neuen Schulhaus?
  • Gibt es Lehrpersonen, die Lust auf und Kapazitäten fürs Projekt haben?

Die Umfrageergebnisse haben das Team um Jonas Bürgi bestärkt und die Motivation fürs Projekt bestätigt.

Museumsdepot: In der Mitte steht eine Skulptur von einem Mann auf einem Pferd.
Blick ins Depot des Historischen Museums Baden. Foto: zVg Jonas Bürgi

Zentrale Haltung: Wir sind alle lernend

„Die fragende und forschende Haltung von HEK und Schule lässt stets Wendungen zu, provozieren diese sogar aktiv. Die Schule Zeihen definiert sich als lernende Organisation. Wendungen gehören deshalb zum Kerngeschäft. Wir sehen uns als Menschen, die sich als Expertinnen und Experten von Lernprozessen verstehen. Deshalb müssen wir stets selbst im Lernmodus unterwegs sein, um unserer Expertise gerecht zu werden.“ Was für eine wunderbare Aussage Daniel Jesenegs. Als Jurymitglied wünsche ich mir noch viele Prozessor-Projekte von Menschen, die diese Haltung vertreten und neugierig sind auf die Universen der kooperierenden Projektteams.


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Gallus Staubli

Seit 1998 ist Gallus Staubli (*1970) Museumspädagoge im Museum für Kommunikation in Bern und in dieser Rolle Teil der Kreativteams von über 20 Wechsel- und Dauerausstellungen. Er war massgeblich an der Entwicklung des Vermittlungskonzepts "Berner Formel" beteiligt und leitet seit 2017 ein Team von 15 festangestellten Kommunikatorinnen und Kommunikatoren. Seit vielen Jahren ist er Dozent an der Fachhochschule Graubünden und leitet Kurse von International Council of Museums Schweiz. Er war im Vorstand des Vereins der Museen im Kanton Bern, des Dachverbandes Kulturvermittlung Schweiz und Co-Präsident von Mediamus. Er ist ausserdem Jurymitglied beim Fördergefäss Prozessor des Kantons Aargau.

Webseite: https://www.mfk.ch/besuchen/ausstellungen/gastgebende