Man kennt sich persönlich und schätzt die Arbeit der anderen Person. Man sieht ein Potential in der Kombination der Arbeitsweisen, dadurch entsteht die Lust, zusammen etwas zu erschaffen. Was ist der Mehrwert einer Zusammenarbeit und wie wird sie geformt? Im Ressourcen-Pot kann für die künstlerische Umsetzung auf mehrere Fähigkeiten zurückgegriffen werden. Im Gespräch und der Ideensammlung werden oft Sphären erreicht, die im Alleingang nicht entstanden wären. Andererseits müssen alle Parteien bereit sein, Kompromisse einzugehen und sich auf längere Aushandlungen einzustellen. Auch ist der soziale Aspekt eines Kollektivs spannend und anregend. Das Kollektiv lebt davon, sich gegenseitig zu ergänzen, aber auch davon, sich wenn nötig zurückzuhalten. Dafür ist es von Vorteil, sich schon lange zu kennen. Arbeitsabläufe sind in erfahrenen Kollektiven von Kunstschaffenden definiert und die Rollen innerhalb des Kollektivs nicht selten klar zugeteilt. Ein lohnenswertes und anspruchsvolles Format.
Artists in Residence an der Primarschule Mühlethal
Der Theaterschaffende Andreas Bächli und der Künstler Daniel Bracher sowie die Projektkoordinatorin Maria Bänziger residierten vom 15. Februar bis zum 7. April 2021 an der Schule Mühlethal bei Zofingen. Andreas Bächli ist in der Schauspielerei und Regie tätig. Zudem bringt er umfangreiche Kenntnisse als Bühnenbildner mit. Daniel Bracher arbeitet als interdisziplinärer Künstler in den Bereichen Fotografie, Installation und Collagetechniken. Neben ihrer Tätigkeit als freischaffende Kuratorin arbeitet Maria Bänziger als Kulturvermittlerin und Künstlerin. Zum Pausenplatz der Schule Mühlethal gehört ein Stück Wald. Da Daniel Bracher oft die Natur als Ausgangslage für sein künstlerisches Schaffen nutzt, war es naheliegend, dem Wald eine zentrale Bedeutung zuzuschreiben. Andreas Bächli fühlte sich als Theaterschaffender auf der Bühne der Turnhalle zu Hause.
Künstler-Duo ohne gemeinsame Erfahrung als Experiment an der Schule Mühlethal
Zum ersten Mal wurden an einem „Artists in Residence“-Projekt zwei Kunstschaffende angefragt, als Duo in der Schule zu agieren, die zuvor noch nie miteinander gearbeitet hatten. Andreas Bächli und Daniel Bracher hatten sich anfangs nur flüchtig gekannt. Sie sind also als zwei individuelle Kunstschaffende angefragt worden, als Kollektiv an der Schule Mühlethal mit den Schülerinnen und Schülern eine neue Arbeit zu entwickeln. Nach einem ersten Treffen in Daniel Brachers Atelier in Vordemwald eröffneten die beiden Kunstschaffenden, dass sie einander und ihre Arbeit spannend fänden und eine Zusammenarbeit eingehen wollen.
Vorgehensweise für die Entwicklung des gemeinsamen Schaffens
Auf den Anspruch, ein gemeinsames Werk zu erschaffen, wurde von Beginn an zugesteuert. Alle vorbereitenden Sitzungen und Planungsüberlegungen wurden zu Dritt abgehalten. Im Gespräch hatte sich gezeigt, dass Andreas und Daniel schnell eine Begeisterung für die Ideen des jeweils anderen entwickelten. Glücklicherweise manifestierte sich eine gemeinsame Sprache, um die Projektentwicklung und künstlerischen Ideen abzugehen. Begeistert stiegen sie in die Themen und Ideenentwicklung des Anderen ein, schnell wurden bunte Ideenkonstruktionen entworfen. Die eine Idee führte zur anderen und diese zur nächsten. Die Kommunikation verlief freudig und war ausgeglichen. Der Grundstein für eine Zusammenarbeit wurde gesetzt.
Als Ausgangslage wurde die Collagetechnik, die Daniel und Andreas gemein ist, festgelegt. Der analogen Technik von Daniel und der eher digitalen Arbeitsweise von Andreas wurde von beiden Seiten viel Interesse zugesprochen. Beide Kunstschaffende sahen in den unterschiedlichen Medien, derer sie sich bedienen, eine potenzielle Bereicherung ihrer eigenen Technik. Den beiden Kunstschaffenden gemein ist vor allem die offene und forschende Grundhaltung ihrer künstlerischen Praxis. So sieht sich Daniel Bracher als Erforscher, wenn er sich der künstlerischen Tätigkeit widmet. Auch beruht Andreas Bächlis Arbeit in seiner Tätigkeit als Theaterschaffender auf einer interdisziplinären und forschenden Haltung.
Experimentierphase
Die ersten drei Wochen der Residenz wurden dem reinen Experimentieren, Forschen und Kennenlernen gewidmet. Den Fokus legten sie auf die partizipative Zusammenarbeit von Kunstschaffenden, Schülerinnen und Schülern sowie Lehrpersonen. Die drei Wochen dienten als wichtige Zeit des Kennenlernens und Abtastens der Interessen und Möglichkeiten aller Beteiligten. Daniel Bracher arbeitete zusammen mit den Klassen der Kindergärten und Andreas Bächli mit den Klassen der Unter- und Mittelstufen. In dieser ersten Phase waren Daniel und Andreas sehr häufig in den Workshops des jeweils anderen anwesend. Sie planten die Zeit mit den Kindern gemeinsam und unterstützten sich gegenseitig während den Workshops. Die Zeit danach nutzten sie, um sich über die Erfahrungen, die mit den Kindern gemacht wurden, auszutauschen. Dieser Austausch wurde zu einem wichtigen Bestandteil der Teambildung. Dabei vermischten sich künstlerische und pädagogische Überlegungen nicht selten auch mit Gesprächen, die das Leben betreffen – ein Austausch auf allen Ebenen, der eine bereichernde künstlerische Zusammenarbeiten lohnend macht.
Zusammenführung der individuell entstandenen Arbeiten
Daniel arbeitete mit den Kindergarten-Kindern oft mit Farbe und Pinsel. Dabei entstanden viele Bilder. Währenddessen beschäftigte sich Andreas in seinen Workshops mit dem Produzieren von Filmen mit der 360 Grad-Kamera. Für die Videos nutzte er oft die Malereien, die in Daniels Workshop entstanden waren, als Requisiten. Somit tauchten in den Videos der Schülerinnen und Schüler immer wieder Arbeiten der Kindergarten-Kinder auf. Die Idee, sich gegenseitig von den Arbeiten inspirieren zu lassen und diese auch für ein Weiterarbeiten mit den eigenen Klassen aufzugreifen, hat sich gelohnt. Nicht nur bekamen somit die Kinder einen Einblick in das Schaffen der anderen Klassen, auch die Kunstschaffenden hatten einen Anknüpfungspunkt, um weitere Ideen zu entwickeln.
Inhaltliches Zusammenführen
Die Holzschlange gab den Anstoss, die vielen entstanden Werke auf einen gemeinsamen kontextuellen Nenner zu bringen. Daniel schrieb dazu die Geschichte der Schlange „Gernstern“, welche die Kinder der Schule Mühlethal aus dem Weltall besuchte. In der Geschichte vereint sich das gesamte künstlerische Arbeiten der beiden Kunstschaffenden. Unter anderem waren das die Videos, die Andreas mit den Schülerinnen und Schülern drehte, die Sternenstaub-Gemälde der Kindergarten-Kinder, aber auch die Erzeugnisse vom Actionpainting, das mit der ganzen Schule durchgeführt wurde.
Fazit
Die Ausgangslage der Collage-Technik wurde auch auf die Schlussveranstaltung übertragen. Die Werke, die entstanden sind, wurden in einem Ausstellungssetting präsentiert und konnten in einem Rundgang betrachtet werden. Viele Bestandteile der Arbeiten spiegelten sich in verschiedenen Arbeiten und führten zu einem Wiedererkennungseffekt. Durch den regen Austausch, die gemeinsame Entwicklung der Projektidee und die gegenseitige Auffassung von entstandenen Arbeiten zur Weiterentwicklung, vermengten sich die beiden künstlerischen Arbeitsweisen in den ausgestellten Werken.
Die Frage bleibt offen, ob bei einer bereits erprobten Zusammenarbeit ein formell einheitlicheres Werk entstanden wäre. Die Schwierigkeit einer Teambildung bestand auch klar darin, dass die Klassen separat besucht wurden. Die Zusammenarbeit konnte somit hauptsächlich ausserhalb der Workshops gefestigt werden und entstand über eine Inspiration von den entstandenen Werken wie auch über Gespräche und Ideenentwicklung auf inhaltlicher Basis. Jeder Kunstschaffende brachte seine eigene formelle Sprache und Technik mit, die in diesem Zeitrahmen nicht zu einer Vereinheitlichung gebracht werden konnte. Dies hat sich bestimmt auf das, sonst in diesem Projekt gewohnte, homogene Endprodukt ausgewirkt. Wiederum hat sich dadurch eine Diversität ergeben, in der die beiden Kunstschaffenden auch als Individuen erkennbar wurden.
Die Zusammenarbeit ist besonders auf inhaltlicher und persönlicher Ebene gut gelungen. Die Ideenentwicklung und Experimentierphase war, gerade durch die Neugier der beiden Kunstschaffenden aufeinander, ein anregender Bestandteil des Projekts. Für einen Anspruch auf ein einheitlicheres Schlussprodukt würde sich wohl ein bereits eingespieltes Duo besser eignen. Das Zuschaffen auf eine gemeinsame Schlussinstallation hin könnte so homogener entstehen und auf die Klassen verteilt werden.
Die Entscheidung, eine Geschichte als roten Faden durch das Schaffen aller Beteiligten zu ziehen, schien somit der vereinheitlichende Faktor des Projekts. Die Geschichte der Schlange „Gernstern“ hat sich bewährt, da durch sie auch nach aussen das Künstler-Duo spürbar wurde.
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