Hauptmenü

Übersicht

TUN und ÜBERS TUN NACHDENKEN

Was könnte besser zu einer offenen Einladung zum Lernen beitragen als Kunst und Kultur, die sich durch Machen, Ausprobieren, Verwerfen, Experimentieren, Gestalten und Präsentieren ausdrückt und dabei stets zur Wahrnehmung und Reflexion anregt? Kunst und Kultur erschliessen neue Wege, die im starren Rahmen von Arbeitsblättern, Lernprogrammen und Schulbüchern oft verloren gehen: Sie ermöglichen das Handeln und Entdecken mit allen Sinnen.

Viele Kunstwerke und farbige Skulpturen aus Papier, Klebeband und Ton, die sich in einem weissen Raum befinden.
Farbige Kunstwerke - Artists in Residence, Foto: koorder

Die Wirkung von Kunst und Kultur auf Kinder und Jugendliche im Schulkontext

Betrachten wir die Wirkung von Kunstprojekten einmal vom Ende her, dort, wo der eigentliche Zauber sichtbar wird: nach Abschluss des Projekts. Schülerinterviews nach Abschluss solcher Vorhaben zeigen eindrucksvoll, welche nachhaltige Wirkung kulturelle Projekte auf Kinder und Jugendliche haben.

Interviews zum Projekt „Vernetzte Räume“ (Schule Zeihen in Kooperation mit dem HEK – Haus der elektronischen Künste Basel, 2021/22)

Die Schülerinnen und Schüler berichten begeistert von neu erworbenen Kompetenzen, die sie dank der Unterstützung von Kunst- und Kulturschaffenden an der Schnittstelle von Informatik und Kunst vertiefen konnten, wie z. B. Programmieren, Theaterspielen und Blogbeiträge verfassen. Auch wichtige überfachliche Kompetenzen, wie die Fähigkeit zur Teamarbeit, wurden von den Schülerinnen und Schüler als wertvolle Erfahrung genannt.

Interviews zum Projekt „Artists in Residence an Schulen – Koorder an der Sereal Suhr“ (2013)

Ein Jugendlicher beschreibt seine ursprüngliche Erwartung, zeichnen zu lernen wie bei der Mona Lisa – und berichtet dann von der Herausforderung, sich mit verschiedenen Wahrnehmungen und Interpretationen von Formen und Farben auseinanderzusetzen. Seine Schilderung offenbart die Freude am Experimentieren und den Mut, sich auf das Unbekannte einzulassen.

Interviews zum Theaterprojekt „Carigiets Welt“ (Theaterprojekt 5./6. Klasse, Schule Laufenburg, 2017)

Durch das Theaterprojekt, das auf dem Kinderbuch „Schellenursli“ und dem Werk des Illustrators Alois Carigiet basiert, konnten die Kinder eine neue Perspektive auf das literarische Material gewinnen. Sie berichten stolz und ernsthaft von der prägnanten Erfahrung, auf der Bühne gestanden zu haben.

Diese Aussagen illustrieren zentrale Prinzipien1, auf denen Kulturprojekte im Schulkontext basieren.

Kunst- und Kulturangebote im Schulkontext…

  • sind von der Kunst hergedacht.
  • ermöglichen Kunst kennenzulernen, Kunst in einem grösseren Zusammenhang zu verstehen, mit Kunst experimentieren zu können.
  • sind von den Beteiligten aus gedacht (Interessen, Fragen, Fähigkeiten, Potenziale, Erfahrungen, Vorwissen).
  • streben eine künstlerisch-forschende Haltung an.
  • bearbeiten Vorgegebenes und Unhinterfragtes kritisch-konstruktiv, poetisch oder spielerisch.
  • thematisieren Bewertungsmassstäbe und Beurteilungskriterien.
  • streben eine Steigerung von Wahrnehmungsfähigkeit, von künstlerischem Wissen und Können an.

Schule und ihre Realitäten

Wir alle tragen Bilder von Schule im Kopf. Und ja, die Schule, in der Tische und Stühle in Reih und Glied stehen, in der die Lehrperson vor der Wandtafel oder dem Screen „doziert“, in der alle Schülerinnen und Schüler zur gleichen Zeit, im gleichen Tempo, am gleichen Lerninhalt lernen, die gibt es noch heute. Die gute Nachricht: Man findet definitiv auch das Gegenteil. Nämlich jene Schule, in der Kinder und Jugendliche interessensgeleitet lernen, in ihrem eigenen Tempo, entsprechend ihrem Lern- und Entwicklungsstand. Solch eine Schule bietet den Lernenden unterschiedliche Räume, Lern- und Arbeitsmaterialien sowie lebensnahe Lernvorhaben zur Auswahl, und die Erwachsenen verstehen sich dabei mehr als Lernbegleiterinnen und -begleiter denn als Wissensvermittlerinnen und -vermittler.

Die Grammatik der Schule

Dennoch liegt beiden Realitäten von Schulen eine gemeinsame „Grammatik“ zugrunde. Unter der „Grammatik der Schule“ (Tyack, Tobin, 1994) verstehen die Bildungsforscher Tyack und Tobin all die organisatorischen und strukturellen Merkmale, die Schulen typischerweise kennzeichnen. Dazu gehören Elemente wie:

  • Zeit und Raum: Unterricht ist in feste Lektionen und Jahrgangsklassen aufgeteilt.
  • Aufgabenverteilung und Bewertung: Schülerinnen und Schüler bekommen definierte Aufgaben und werden regelmäßig beurteilt.
  • Fächerstruktur: Das Wissen ist in klar getrennte Fächer organisiert.
  • Strukturen für Lehrkräfte: Lehrkräfte arbeiten oft als Einzelpersonen in einem vorgegebenen System.
  • Klassifikation von Schülerinnen und Schüler Schülerinnen und Schüler werden nach Leistung, Alter oder Förderbedarf eingestuft.

Diese eingefahrenen Strukturen wirken wie eine „Grammatik“, die das gängige Verständnis von Schule definiert. Veränderungen in diesem Bereich werden daher oft als radikal oder störend empfunden.

Konsequenzen für Kunst- und Kulturprojekte in der Schule

Damit die vorab erwähnten Arbeitsprinzipien von Kunst- und Kulturangeboten im Schulkontext gelingend zum Tragen kommen, bedarf es nicht einer Anpassung, sondern einer Auseinandersetzung mit der „Grammatik der Schule“. Entsprechende Überlegungen gilt es sowohl in der Planung und Vorbereitung als auch während der Umsetzungsphase zu treffen.

Planung:

Auseinandersetzung mit Lerngruppen und Klassen
  • z. B. klassenübergreifendes Arbeiten bedingt meist einen Spezialstundenplan/ eine Projektwoche
  • z. B. Räume sind an Klassen gebunden
  • z. B. spezifische Lerngruppenbedürfnisse: Fremdsprachigkeit, Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf
  • z. B. Arbeitsverhalten und Sozialverhalten (überfachliche Kompetenzen)
Auseinandersetzung mit Zeitgefässen (Lektionen)
  • z. B. Erfahrung zeigt: Zyklus 1 (Halbtags), Zyklus 2 (Doppellektionen), Zyklus 3 (Lektionen)
Auseinandersetzung mit Fächern, Zielen und Lehrplan

  • z. B. Klärung von Kompetenzbereichen im Lehrplan (fachlich / überfachlich)

  • z. B. Klärung der Lektionentafel

Umsetzung:

Auseinandersetzung mit der Zusammenarbeit der Lehrpersonen
  • z. B. Unterrichtsvorbereitungs- und Besprechungsgefäße
  • z. B. Rolle der Lehrperson während eines Kunst- und Kulturangebots im Unterricht
  • z. B. Weiterarbeit / Vertiefung während der Unterrichtszeit
Auseinandersetzung mit Aufgabenvergabe und Beurteilung der Schülerinnen und Schüler

Ins TUN kommen

Gerade der zuletzt genannte Punkt hat für Kunst- und Kulturprojekte im Schulkontext eine hohe Relevanz. Die Kultur, die hinter der Praxis der Aufgabenvergabe und Beurteilung steht, spiegelt eine Gesellschaft wider, die stark auf Leistung, Normierung und Verwertbarkeit setzt. Sie vermittelt Schülerinnen und Schülern Werte wie Wettbewerb, Anpassung an Standards und Autoritätshierarchien, oft zulasten von Eigenständigkeit, Kreativität und intrinsischer Motivation.

Damit Kunst- und Kulturschaffende mit ihren prozesshaften, ergebnisoffenen, künstlerisch-forschenden und kritisch-denkenden Methoden und Arbeitsverfahren in der schulischen Aufgaben- und Beurteilungskultur Wirkung erzielen, lohnt es sich, folgende Punkte zu beachten:

  • Mit den Schülerinnen und Schülern ins TUN kommen: spielen, bauen, zeichnen, sammeln und sortieren, gestalten…
  • Vom Konkreten hin zum Abstrakten: zu Beginn ausprobieren dürfen
  • Vom Fremden hin zum Eigenen: zu Beginn auch mal nachmachen / „kopieren“ dürfen
  • Vom Einfachen hin zum Komplexen: zu Beginn keine mehrschrittigen Prozesse
  • Das TUN dokumentieren / sichtbar machen: Skizzen, Fotos, Moodboard, Briefe, usw.

Motivierendes Lernen wird unterstützt durch (Deci, Ryan, 2002):

  • Zugehörigkeit: „Ich bin dabei!“
  • Kompetenzerleben: „Ich kann etwas!“
  • Autonomie: „Ich bin jemand!“

Übers TUN sprechen und nachdenken

Schulische Bewertungskultur und der kreative Prozess in der Kunst stehen häufig im Widerspruch zueinander. In der Schule liegt der Fokus auf dem Ergebnis, das oft noch in Form einer Note bewertet wird. Im künstlerischen Prozess hingegen ist der Weg ebenso wichtig wie das Ergebnis. Dies fordert eine Reflexion, bei der Schülerinnen ihre Wahrnehmungen und Empfindungen artikulieren und sich austauschen können. Die Kooperation mit Lehrkräften ist hierbei wertvoll, da sie die Schülerinnen bei der Entwicklung des erforderlichen Wortschatzes und der Fähigkeit zur differenzierten Beobachtung unterstützen.

Folgende Punkte können unterstützend sein:

Über Gefühle reden
  • z.B. Was hat mir Freude bereitet?
  • z.B. Wo war ich sicher/ unsicher?
  • z.B. Auf was bin ich stolz? Was ist mir gelungen?
  • z.B. Was hat mich frustriert?
Austauschrunden: kurz, im Moment, regelmäßig 

z.B. Was hat mich frustriert?

Zeigen, wie man das macht (in Kooperation mit der Lehrperson)
  • z.B. Gruppenauftrag mit spezifischen Beobachtungspunkten
  • z.B. Wortschatzaufbau (Begriffssammlung)
  • z.B. beobachten – selber machen – beobachten
  • z.B. Beobachtungskriterien thematisieren/ visualisieren
Erwachsene: Vorbild sein

  • z.B. eigene Beobachtungen/ Wahrnehmungen formulieren

  • z.B. offenlegen, wie man beobachtet, an welchen Kriterien man sich orientiert 

Beispiele aus der Praxis

Folgende zwei Praxisbeispiele zeigen, wie die „Grammatik der Schule“ in der Planung und Konzeption von Kunst- und Kulturprojekten mitgedacht wurde (Zeitgefässe, Kooperation mit den Lehrpersonen, Überlegungen zu den Fächern, Zusammenspiel von Unterricht und Kunst- und Kulturangebot usw.) und wie das TUN und ÜBERS TUN NACHDENKEN konkret umgesetzt wurde. Bei beiden Praxisbeispielen ist die anfängliche Loslösung von inhaltlicher und gestalterischer Auseinandersetzung zu beachten. Dadurch findet eine Reduktion der Komplexität zu Projektbeginn statt und erlaubt es den Kindern und Jugendlichen, zu einem späteren Zeitpunkt an der Konzeption eines „Werks“ aktiv zu partizipieren (Zusammenführung von Inhalt und Form).

Praxisbeispiel: Artists in Residence – Carmela Gander an der Schule Wittnau (2018)

Zum Projektbeschrieb

Praxisbeispiel: Theater «DU» (2015)

Zum Projektbeschrieb

Dieser Beitrag wurde anschliessend an das Netzwerktreffen für Kulturschaffende von Kultur macht Schule am 15. November 2024 von Daniel Jeseneg veröffentlicht. Hier geht es zu Daniel Jesenegs Beitrag.


Gefällt Ihnen dieser Artikel? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter um stets über neue Blogbeiträge informiert zu sein.


  1. Die Arbeitsprinzipien des Programms „Kultur macht Schule“ wurden von Von Prof. Carmen Mörsch im Auftrag der Fachstelle Kulturvermittlung entwickelt. ↩︎
Avatar

Daniel Jeseneg

Daniel Jeseneg absolvierte eine Berufslehre als Hochbauzeichner (1999 bis 2003). An der Pädagogischen Hochschule FHNW liess er sich zur Primarlehrperson ausbilden (2003 bis 2006). Als Lehrperson bringt er 12 Jahre Berufserfahrung auf der Mittelstufe mit (3. bis 6. Klasse). Sein pädagogisches Interesse gilt dem altersdurchmischten Lehren und Lernen im Sinne einer individualisierenden Gemeinschaftsschule. An der Hochschule Luzern – Design & Kunst studierte er zudem Visuelle Kommunikation mit Vertiefung in Video (2009 bis 2013). Seit August 2019 ist er als Schulleiter an der Schule Zeihen tätig.

Webseite: https://www.schule-zeihen.ch/