Einleitung
Im Folgenden sollen keine methodisch-didaktischen Hinweise für eine Realisierung von Partizipation in kulturpädagogischen Projekten gegeben werden. Es geht mir vielmehr darum, einige Hinweise dafür zu geben, dass der Begriff der Partizipation ein ausgesprochen komplexer Begriff ist, der in unterschiedlichen Handlungsfeldern und Theoriekonzeptionen genutzt wird. Ich werde daher versuchen, mich dem Begriff (in knapper skizzenhafter Form) in vier Schritten anzunähern.
Partizipation – ein pädagogischer Begriff?
Möglicherweise löst die Frage in der Überschrift Verwunderung aus, steht doch die heutige Veranstaltung unter dem Motto, Partizipation im Bereich der kulturellen Bildungsarbeit zu diskutieren. Daher scheint die Frage verwirrend, ob Partizipation überhaupt ein pädagogischer Begriff ist. Dürfen wir uns überhaupt mit diesem Begriff befassen? Ist es ein genuin pädagogischer Begriff?
Johann Friedrich Herbart (1776–1841) war ein Nachfolger von Kant auf seinem Königsberger Lehrstuhl und versuchte, als Philosoph und Pädagoge aus der Pädagogik, die zu dieser Zeit als reine praxisorientierte Kunstlehre betrachtet wurde, eine veritable Wissenschaft zu machen. Seine Überzeugung war, dass ein Wissensbereich nur dann zu einer echten Wissenschaft wird, wenn er über „einheimische Begriffe“ verfügt. Einheimische Begriffe sind solche Begriffe, für die das entsprechende Wissenschaftsgebiet ein prioritäres Deutungsrecht, vielleicht sogar ein Deutungsmonopol hat.
Die erste Frage ist also, ob Pädagogik, verstanden als Erziehungswissenschaft, über solche einheimischen Begriffe verfügt. Selbst bei einem kurzen Nachdenken wird man behaupten können, dass „Bildung“ und „Erziehung“ solche einheimischen Begriffe in der Erziehungswissenschaft sein könnten (so etwa Koller, Hans-Christoph (2008): Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. Stuttgart: Kohlhammer). Doch gilt dies auch für den Begriff der Partizipation? Selbst eine kurze Recherche in einer Internet-Suchmaschine liefert uns eine Vielzahl von Ergebnissen, doch sieht man schnell, dass sich die meisten Suchergebnisse auf politische Kontexte beziehen. Partizipation scheint also primär ein politischer Begriff zu sein. Dies bestätigt auch das Buch eines prominenten Vertreters der politischen Philosophie, nämlich Volker Gerhardt, der ein Buch über Partizipation geschrieben hat, dessen Untertitel lautet: Das Prinzip der Politik. Es geht also nicht bloss um ein Prinzip unter vielen, sondern ausdrücklich um DAS Prinzip der Politik. Der Klappentext präzisiert dies:
„Der Begriff bedeutet Teilhabe und Teilnahme an einem Ganzen, über das niemand allein verfügen kann. Partizipation ist der ausdrücklich auf die Gemeinschaft mit anderen bezogene Akt individueller Selbstbestimmung. In ihm liegen Anmassung und Bescheidung nah beieinander.“
Wenn dies so ist und wenn es gleichzeitig gerechtfertigt sein soll, in einem pädagogischen Kontext über Partizipation zu sprechen, so stellt sich grundsätzlich die Frage nach dem Zusammenhang von Pädagogik und Politik. Einen solchen engen Zusammenhang gibt es in der Tat und ich will dies kurz durch einige Hinweise im Hinblick auf Bildung und Bildungstheorie belegen. In diesem bildungstheoretischen Kontext tauchen in jeder entsprechenden Darstellung zumindest zwei Namen immer wieder auf, nämlich Platon und Wilhelm von Humboldt (siehe etwa Markus Rieger-Ladich (2019): Bildungstheorien. Hamburg: Junius).
Interessant an diesen beiden Autoren ist, dass sie sich zwar ausführlich mit bildungstheoretischen Fragen auseinandersetzen, dies aber in staatstheoretischen, also politischen Schriften tun. Bei Platon (428–348 v. Chr.) ist es das Spätwerk „politeia“ (der Staat), in dem er beschreibt, wie er sich idealtypisch die politische Ordnung einer Polis vorstellt. In diesem Zusammenhang diskutiert er ausführlich, welches Wissen und welche Fähigkeiten der politische Führer haben muss, stellt also einen Zusammenhang zwischen Bildung und funktionierender politischer Ordnung her.
Wilhelm von Humboldt (1767–1835) schrieb 1792, also als junger Mann, ein Buch mit dem Titel: Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen. Wilhelm von Humboldt gilt als einer der Väter des philosophischen Liberalismus, also einer Staatstheorie, die die Rolle des Staats auf das Notwendigste beschränken will. Dies mag ein wenig überraschen, da Humboldt Zeit seines Berufslebens Staatsdiener in hohen Positionen (Minister, Botschafter) war. In dieser staatstheoretischen Jugendschrift finden sich wichtige Bestimmungen von Bildung, die bis heute oft zitiert werden und tragfähig sind. So beschreibt er Bildung als wechselseitige Verschränkung von Mensch und Welt. Sehr schön ist auch seine Formulierung, dass Bildung bedeute, so viel Welt wie möglich in sich aufzunehmen. Humboldt war klar, dass ein funktionierendes Staatswesen gebildete Bürger braucht, die sich an der Gestaltung des Staats beteiligen. Es gilt aber auch eine zweite Erkenntnis, die er in diesem Zusammenhang formuliert: Eine gute Bildung benötigt Ressourcen. Die Bereitstellung solcher Ressourcen ist eine Pflichtaufgabe des Staats. Pädagogik und Politik stehen also in einem engen Beziehungsverhältnis, sie sind zwei Seiten derselben Medaille (siehe etwa mein Buch „Pädagogik und Politik. München 2017“).
All dies gilt also auch für den Begriff der Partizipation. Es verwundert also nicht nur nicht, dass der eigentlich politische Begriff der Partizipation auch pädagogisch eine grosse Rolle spielt: Aufgrund des engen Zusammenhangs von Pädagogik und Politik kann dies auch gar nicht anders sein. Ich habe zum Beleg dieser These nur zwei wichtige Autoren genannt. Selbstverständlich finden sich ähnliche Gedanken bei vielen anderen Denkerinnen und Denkern, die sich mit Politik und Pädagogik befassen (etwa Rousseau, Kant, Hegel, Pestalozzi und aktueller John Dewey). Diese Bedeutung in zwei Feldern hat dabei nicht bloss der Begriff der Partizipation, sondern man kann auch andere Begriffe wie etwa Emanzipation, Empowerment, Mündigkeit oder – aktuell – Selbstwirksamkeit anführen, für die das auch gilt.
Ein sprachlicher Zugang
Der Begriff der Partizipation hat offensichtlich lateinische Wurzeln, es steckt das Wort „pars“, auf Deutsch: Teil, in diesem Wort. Daher ist „Teilhabe“ auch eine angemessene deutsche Übersetzung von Partizipation. Wer von einem Teil spricht, muss im selben Atemzug dann auch von einem Ganzen sprechen, sonst macht die Rede von einem Teil keinen Sinn. Es gibt dabei zwei Möglichkeiten: Man ist bereits Teil eines Ganzen, an dem man entsprechend Anteil nimmt, wobei dies kein statischer Zustand, sondern vielmehr ein aktiver Prozess ist. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass jemand, der noch nicht Teil eines vorhandenen Ganzen ist, Teil dieses Ganzen werden will. Im sozialen und politischen Kontext bezieht sich dies auf das Konzept der Integration, denn Integration bedeutet in deutscher Übersetzung: Bildung einer Ganzheit. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass mit der Aufnahme eines neuen Mitglieds eine neue Ganzheit entsteht.
Dies klingt zunächst einfach, allerdings ist Einiges zu berücksichtigen. Geht man von einer sozialen Ganzheit, also einer sozialen Gemeinschaft, einer Gruppe oder einem Volk aus, dann muss man berücksichtigen, dass es in dieser schon vorhandenen Ganzheit Regeln des Zusammenlebens gibt. Es gibt schriftlich vorliegende Gesetze, es gibt Institutionen, die die Einhaltung dieser Gesetze überwachen und man muss mit Sanktionen rechnen, wenn man gegen diese Gesetze verstösst.
Neben solchen Gesetzen gibt es allerdings auch andere Regeln, die einzuhalten sind, etwa Traditionen, Gepflogenheiten, Sitten und Gebräuche. Diese sind historisch entstanden und ein Verstoss dagegen wird ebenfalls nicht von der Gemeinschaft hingenommen. Solche Regelungen muss man kennen, mehr noch, jeder Einzelne muss sie auch anerkennen und einhalten.
Das Problem besteht nun darin, dass bei der Neuaufnahme von Mitgliedern ein neues Ganzes entsteht, das heisst, dass eine Veränderung stattfindet. Denn neue Mitglieder haben einen Anspruch auf Mitbestimmung und gegebenenfalls auf eine neue Definition von Regeln. Dies bedeutet, dass man sich auf Veränderungen einstellen muss. Dies wiederum hat gravierende Folgen für die persönlichen Dispositionen sowohl derer, die bereits Teil der Gemeinschaft waren, als auch für diejenigen, die neu aufgenommen werden wollen. So braucht man zunächst die Fähigkeit, Veränderungen hinzunehmen und mitzugestalten. Es sind Regeln zu lernen und insbesondere sind in dem Falle, in dem neue Regeln entwickelt werden, die alten Regeln zu verlernen. Verlernen und Umlernen sind dabei schwierigere Prozesse als das Lernen von Neuem. Es ist erforderlich, die Tugend der Toleranz zu entwickeln, da man mit unterschiedlichen Sichtweisen konfrontiert wird. Will man eigene Vorschläge machen, die zu einer Neuformulierung von Regeln führen sollen, wird man diese begründen müssen. Dies betrifft den Aspekt der Rationalität, denn im Wort Rationalität steckt sowohl Wurzel als auch Grund, sodass man Rationalität als Fähigkeit verstehen kann, Gründe anzugeben. Man muss zudem davon ausgehen, dass eigene Vorstellungen nicht umstandslos aufgenommen werden, sodass es notwendig wird, Kompromisse zu bilden. Kompromissfähigkeit ist also eine wichtige persönliche Disposition im sozialen Zusammenleben.
Partizipation und das Recht
Ich beginne bei der Diskussion rechtlicher Aspekte gleich mit der höchsten Hierarchiestufe rechtlicher Ordnungen, nämlich mit den Menschenrechten. Im Jahr 1948 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen in San Francisco eine Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Es ist ein relativ kurzer Text, in dem eine Vielzahl von Aspekten und Dimensionen angesprochen wird, die einzuhalten sind, wenn das grundlegende Prinzip der Menschenwürde realisiert werden soll. Dieser Text hat bis heute seine Faszination und Wirksamkeit nicht verloren und kann auch zukünftig als normative Messlatte für die Gestaltung menschlichen Lebens gelten.
Sein Problem besteht allerdings darin, dass diese Allgemeine Erklärung kein verbindliches Recht darstellt. Es war daher in erster Linie Eleonore Roosevelt, die Frau des verstorbenen amerikanischen Präsidenten, die aus dieser rechtlich unverbindlichen Erklärung eine völkerrechtlich verbindliche Konvention machen wollte. Dieser Prozess dauerte bis 1966, bis die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine schriftliche Ausformulierung der geplanten Konventionen verabschieden konnte. Es wurden letztlich zwei Konventionen, wobei sich eine erste Konvention mit individuellen Schutzrechten befasste (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte) und eine zweite Konvention Anspruchsrechte formulierte (internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte). Während es im ersten Pakt um die Verletzlichkeit des Individuums geht, das deshalb eines besonderen Schutzes bedurfte, geht es im zweiten Pakt darum, Ressourcen bereitzustellen, damit Teilhaberechte auch realisiert werden können.
Man hat später (in Wien 1992) eine dritte menschenrechtliche Konvention verabschiedet, bei der es um Gruppenrechte ging, nämlich um das Recht auf Entwicklung von Gesellschaften. Dies war deshalb nötig, weil sich die ersten beiden Konventionen nur auf das einzelne Individuum bezogen. Mit der Verabschiedung im Jahre 1966 traten allerdings die Konventionen noch nicht in Kraft. Es musste erst eine hinreichende Zahl von Staaten sich bereit erklären, diese Konventionen auch zu ratifizieren, damit sie in Kraft gesetzt werden konnten. Dieser Prozess dauerte zehn Jahre lang, sodass erst im Jahre 1976 die Konventionen in Kraft gesetzt wurden.
Man kann nun fragen, wieso es so lange gedauert hat, bis dies möglich war. Darauf gehe ich im übernächsten Abschnitt ein. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass es nicht bloss bei diesen beiden Konventionen geblieben ist, sondern dass man heute eine höhere zweistellige Zahl menschenrechtlicher Konventionen findet. So gibt es inzwischen eine Kinderrechtskonvention, eine Behindertenrechtskonvention, es gibt Konvention zur Gleichstellung von Frauen und so weiter. Liest man diese Konventionen, dann stellt man überrascht fest, dass in ihnen im Grundsatz nichts Neues steht. Es geht um Ausschluss von Diskriminierung, es geht um Teilhabe, um Schutz- und Anspruchsrechte. All dies findet sich schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahre 1948 und es findet sich auch in den beiden grundlegenden Konventionen.
Man kann aber daher fragen, wieso es diese Redundanz gibt. Ein Grund dafür, dass es notwendig wurde, die in den beiden Konventionen formulierten Schutz- und Beteiligungsrechte für Spezialfälle explizit zu formulieren, liegt in der vierfachen Universalität der Menschenrechte: Sie müssen in der Tat für alle Menschen gelten, sodass Ausnahmen nicht gestattet sind. Es ist also nicht zulässig, Kinder, Menschen mit Behinderung oder eben auch Frauen von diesen Rechten etwa auf Mitgestaltung der Gemeinschaft auszuschliessen. Sie gelten auch überall, was bedeutet, dass man keine Regionen ausschliessen darf. Sie gelten auch immer, sodass es nicht gestattet ist, auch nur zeitweise die Gültigkeit zu beschränken. Letztlich gelten sie auch nur alle zusammen. All dies führt dazu, dass es offenbar Widerstände gab und den Wunsch, Ausnahmen machen zu wollen. Dagegen wehrten sich die speziell für bestimmte Probleme und Menschengruppen formulierten weiteren Konventionen.
Interessant ist auch, dass in diesen Menschenrechtskonventionen unterschiedliche Formen von Teilhabe unterschieden werden. So kann man eine ökonomische, soziale, politische und kulturelle Teilhabe unterscheiden. Ökonomische Teilhabe bedeutet etwa, dass man das Recht auf Arbeit hat, damit man seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Soziale Teilhabe bedeutet etwa, dass man Gruppen, Gemeinschaften und Vereine gründen kann, die bestimmte Interessen verfolgen. Politische Teilhabe bedeutet unter anderem das Recht auf Wahlbeteiligung und nicht zuletzt bedeutet kulturelle Teilhabe, zum einen selbst künstlerisch tätig werden zu dürfen und zum anderen an vorhandenen kulturellen Erzeugnissen und Angeboten partizipieren zu dürfen. Gerade der letzte Punkt ist für die Kulturpolitik eine ständige Herausforderung, da die in den letzten Jahren aufgeblühte Nutzerforschung zeigt, dass unsere (teuren) Kultureinrichtungen keineswegs die Bevölkerung in aller Breite erreichen: Nach wie vor pendelt bei bestimmten Kultureinrichtungen der Anteil von Nutzerinnen und Nutzern bloss bei etwa 10 Prozent der Bevölkerung. Eine weitere Unterscheidung im Hinblick auf Teilhabe und Partizipation ist nützlich. So kann man die Makro-, Meso- und die Mikroebene unterscheiden. Die Makroebene erfasst die politische Ebene, also die Formulierung entsprechender Gesetze, die die Teilhabe verbindlich absichern. So gibt es etwa in Deutschland ein Teilhabegesetz, in vielen Einzelgesetzen auch im pädagogischen Bereich ist verbindlich vorgeschrieben, dass es eine Teilhabemöglichkeit der Nutzerinnen und Nutzer für Bildungsangebote geben müsse. Die Mesoebene betrifft die institutionelle Ebene, also die verschiedenen Bildungs- und Kultureinrichtungen in unserem Fall, die strukturell und organisatorisch dafür sorgen müssen, dass sowohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch die Nutzerinnen und Nutzer an der Gestaltung des Programms und dann an der Organisation der Institution beteiligt sind. In der Schule betrifft das etwa die Rolle der Schüler-Mitverantwortung. Auf der Mikroebene geht es um die Vermittlung individueller Fähigkeiten und Dispositionen, die notwendig sind, um effektiv an bestimmten Prozessen partizipieren zu können.
Was steht der Teilhabe entgegen?
Es wurde oben schon erwähnt, dass es bei der Realisierung und Umsetzung von Partizipation zu Widerständen kommen kann. Widerstände gibt es auf der politischen Ebene, wie man etwa an der Frage der Migrationspolitik sehen kann. Widerstände gibt es auch auf der Ebene der Institutionen, da insbesondere Leitungspersonen nicht immer einsehen wollen, dass auch andere Einfluss auf die Gestaltung der Einrichtung nehmen wollen.
Insbesondere ist im pädagogischen Bereich die individuelle Perspektive zu berücksichtigen. Es wurde oben davon gesprochen, dass Partizipation immer mit Veränderung verbunden ist. Veränderungen machen jedoch gelegentlich Angst, da man vertrautes Terrain verlassen muss. Es gibt zudem die Angst, Ansprüche reduzieren zu müssen, weil man nunmehr teilen muss. Es gibt Ängste, dass man an Einfluss verliert. Es könnte auch eine Rolle spielen, dass man befürchtet, dass lieb gewonnene Traditionen verloren gehen, Traditionen und Regelungen, von denen man denkt, dass sie bislang gut funktioniert haben. Insgesamt ist es die Konfrontation mit Anderem, mit Ungewohntem und Fremdem, was man möglicherweise als Zumutung oder sogar als Bedrohung versteht. Veränderung bedeutet auch die Infragestellung des Bisherigen und führt möglicherweise zu Verunsicherung, in extremen Fällen sogar zu Hass und Gewalt.
Wirkungen von Teilhabe
Ich habe oben von der Makro-, der Meso- und der Mikroebene im Hinblick auf Partizipation und Teilhabe gesprochen. Auf jeder dieser Ebenen lassen sich Wirkungen von Teilhabe feststellen. In politischer Hinsicht bedeutet Teilhabe – und das ist auch der Grund, weswegen Volker Gerhardt in seinem Buch „Partizipation“ als grundlegendes Prinzip der Politik darstellt – die Legitimation der politischen und sozialen Ordnung. Das Gefühl von Legitimation, dass nämlich die politische und soziale Ordnung den eigenen Interessen entspricht, führt zur Akzeptanz dieser Ordnung und ermutigt zu einer weiteren Teilhabe. Politische Partizipation verhindert Diskriminierung von einzelnen Menschen oder von Menschengruppen. Sie verbindet diese vielmehr und führt zu dem oftmals formulierten Ziel der Integration. Möglicherweise führt die Aufnahme neuer Mitglieder auch dazu, dass neue Ideen, neue Sichtweisen und neue Kompetenzen in dem neu entstehenden Ganzen zur Verfügung stehen (Stichwort Schwarmintelligenz).
Auf der persönlichen Ebene führt Partizipation und Teilhabe dazu, dass sich der betreffende Einzelne mit dem Ganzen identifiziert. Es findet ein Prozess der Anerkennung statt und dies in doppelter Hinsicht: Das Ganze wird als legitim vom Einzelnen anerkannt und gleichzeitig erlebt der Einzelne Anerkennung von sich als Mitgestalter des Ganzen. Dies ist verbunden mit dem heute gerade auch in der Pädagogik diskutierten Prinzip der Selbstwirksamkeit: Man spürt, dass man Einfluss ausüben kann und dass dieser Einfluss von anderen gesehen und anerkannt wird.
Wenn man möchte, kann man diesen Prozess in einer Art Kreislaufmodell darstellen:
Partizipation und kulturelle Bildung
Abschliessend will ich kurz einen Hinweis auf die Rolle von Partizipation in der ästhetischen Praxis und in der kulturellen Bildungsarbeit geben. Ich beziehe mich hierbei auf die „Briefe zur ästhetischen Erziehung“, die Friedrich Schiller im Jahre 1795 geschrieben hat. In diesen Briefen entwickelt er eine Vision, die bis heute an Aktualität nichts verloren hat. Selbst in postkolonialen Diskursen, in denen man europäische Geistesgrössen nicht sonderlich schätzt, bezieht man sich gelegentlich auf diese Überlegungen (so etwa die indische Literaturwissenschaftlerin und prominente Theoretikerin im postkolonialen Feld: Gayatri Chakravorty Spivak). Es geht um die Idee, dass in einer vor gesellschaftlichen Anforderungen geschützten Oase ein Erprobungsraum für eine ästhetisch-künstlerische Praxis entstehen kann. In einer solchen Praxis, so Schiller, erlebt der Mensch nicht bloss die Freiheit in der Gestaltung und entwickelt neue Gestaltungsfähigkeiten, er spürt auch eine Freude an einer derartigen Freiheit. Schillers Vision war, dass diese Freude an der Freiheit erhalten bleibt, wenn der Mensch diesen Schutzraum der Oase verlassen hat. Es handelt sich also um eine politische Vision, was insofern bemerkenswert ist, als Schiller als einer der Gründungsväter des Konzepts der Kunstautonomie gilt. In der Tat soll diese in der Oase stattfindende künstlerische Praxis ohne einengende Einflussnahme aus der Gesellschaft geschehen können, doch ist das Ziel dieses Konzepts ein politisches, nämlich die Realisierung politischer Freiheit.
In einer derart gestalteten partizipativen Praxis finden sich alle oben genannten pädagogischen (und politischen) Ziele und Begrifflichkeiten wieder: Prozesse der Anerkennung, der Selbstwirksamkeit, des Einübens notwendiger sozialer Kompetenzen, der Toleranz. Es geht um Innovation, um einen sanktionsfreien Umgang mit Neuem und nicht zuletzt sollte dieser Prozess fehlerfreundlich so ablaufen, dass auch Scheitern erlaubt sein darf.
Literaturhinweise
Es gibt keinen Mangel an Literatur, die sich mit der pädagogischen und politischen Dimension des Partizipationsbegriffs auseinandersetzt. Im Bereich der politischen Philosophie ist im Text das Buch von Volker Gerhardt (2007) „Partizipation – das Prinzip der Politik. München: Beck“ genannt worden. Aus dem Bereich der kulturellen Bildung will ich auf drei Publikationen des deutschen Dachverbands Bundesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) hinweisen:
Jens Maedler (Hrsg.) (2008): TeilHabeNichtse. München: Kopaed
Tom Braun/Kirsten Witt (Hrsg.) (2017): Illusion Partizipation – Zukunft Partizipation. München: Kopaed.
Kerstin Hübner/Viola Kelb/Franziska Schönfeld/Sabine Ulrich (Hrsg.) (2017): Teilhabe. Versprechen?! München: Kopaed.
Eigene Arbeiten – auch zu diesem Thema – finden sich (zum Teil als Download) auf meiner Webseite: www.max-fuchs.org
Gefällt Ihnen dieser Artikel? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter um stets über neue Blogbeiträge informiert zu sein.