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Die Kunst, mit Kunst Schule zu gestalten

Kulturelle Schulentwicklung hat das Ziel, ästhetische Praxis für die Entwicklung einer guten Schule zu nutzen, in der sich Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerpersonen wohl fühlen und (auch deshalb) gute Leistungen erbringen.

Gebastelte Figuren zwischen gestapelten Tischen und Stühlen in einem pinken Raum.
Pink und Erde. Mit diesen zwei Thematiken beschäftigten sich die Kunstschaffenden Nici Jost und Pedro Wirz sowie die Schülerinnen und Schüler der Schule Oberlunkhofen.

Ein Erfahrungsbericht: Die Gesamtschule Else Lasker-Schüler in Wuppertal – die. Kulturschule

Wer sind wir?

Die Gesamtschule Else Lasker-Schüler liegt nahe der Innenstadt von Wuppertal Elberfeld. 2014 haben wir unser 30-jähriges Jubiläum gefeiert. Unsere Schule ist die zweite Gesamtschule, die in Wuppertal gegründet wurde, jedoch wurde ihr kein neues Gebäude zur Verfügung gestellt, sondern sie entstand aus einem ehemaligen Mädchengymnasium und einer Hauptschule an zwei Standorten, die jedoch nur etwa 100 Meter auseinanderliegen.

Wie viele Gesamtschulen sind wir sehr gross: sechs Parallelklassen in der Sekundarstufe I und eine vierzügige Oberstufe. Zurzeit haben wir zusätzlich zwei Seiteneinsteigerklassen. Als einzige Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen haben wir eine „vertikale“ Abteilungsstruktur, die unsere pädagogische Arbeit in den letzten Jahren erheblich verbessert hat.

70 bis 80 Prozent unserer Schülerinnen und Schüler kommen aus Familien mit Migrationshintergrund. Recht wenige Schülerinnen und Schüler kommen mit einer Gymnasialempfehlung zu uns an die Schule. Dennoch gelingt es etwa 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse, die Schule später mit Fachabitur oder Abitur zu verlassen. Insbesondere die Mädchen mit Migrationshintergrund sind erfolgreich. Unsere erfolgreiche Arbeit wurde uns durch die Qualitätsanalyse 2015 bestätigt.

Am dezentralen Theaterfestival „Theaterfunken“ können Schulklassen der Volksschule aktuelle Inszenierungen des Schweizer Kinder- und Jugendtheaters in ihrer Region besuchen.

Der Startschuss zu Kulturschulentwicklung 2011

Im Schuljahr 2011/2012 wurde es entschieden: Wir nennen uns Kulturschule – in unserem Logo, auf unserem Briefkopf, auf unserer Homepage ist es zu lesen:

Gesamtschule Else Lasker-Schüler – die. kulturschule

Und dieser neue Name ist unser Programm: Wir wollen an unserer Schule den schon immer „irgendwie“ gelebten Bereich des Lernens für kulturelle Ereignisse mithilfe kultureller Zugangsweisen und kreativer Methoden systematisch weiterentwickeln und zum Mittelpunkt unserer Schulentwicklung der nächsten Jahre machen. Aus „Irgendwie machen das sowieso schon viele“ soll werden: „Ja, es ist uns wichtig, zur kulturellen Bildung von Schülerinnen und Schülern beizutragen und wir verpflichten uns dazu, dies an unserer Schule in unserem Unterricht und unserem Schulleben zu berücksichtigen!“

Wie war es denn bisher?

In den nunmehr drei Jahrzehnten, in denen es unsere Schule gibt, hat es viele musikalische Aufführungen, Theaterstücke, Konzerte mit Orchester und Chor und Einzelauftritte von Schülerinnen und Schülern gegeben, Arbeitsgruppen-Präsentationen mit Tanz, Theater, Gesang, Lesungen von Schriftstellern, Beteiligung an Buchprojekten, Kunstprojekten mit Künstlerinnen, Verschönerungsaktionen des Hauses unter künstlerischer Anleitung und vieles mehr, was in den Bereich des kulturellen Lernens und kreativen Ausdrucks fällt.

Junge Frau in Blumenkleid lehnt sich mit ausgebreiteten Armen an eine Wand. Neben ihr ein Radio.
Das Projekt „Bild-Raum-Erzähl-Laboratorium“ von Bettina Eberhard und Michael Eul in Zusammenarbeit mit fünf Klassen der Schule Magden machte das Schulhaus zur Bühne, auf der das Publikum einer Geschichte folgte und immer wieder neue visuelle Erlebnisse hatte.
© Bettina Eberhard

Es gab immer wieder im Laufe eines Schuljahrs Ereignisse, die schön, bedeutungsvoll und erfolgreich für die Schülerinnen und Schüler waren, in welche die Lehrerinnen und Lehrer viel Zeit und persönliches Engagement investiert haben und bei denen die Zuschauerinnen und Zuschauer – auch Eltern – ganz andere Seiten an den Schülerinnen und Schülern entdecken konnten als im „normalen“ Unterricht. Vor allem die Schülerinnen und Schüler selbst erleben sich bei kulturellen und künstlerischen Aktivitäten anders.

Aber: Oft wussten weder die anderen Lehrerinnen und Lehrer, was ihre Kolleginnen mit ihren Schülerinnen und Schülern erarbeiten, noch wussten die anderen Schülerinnen und Schüler, wann es wo welche Aufführung zu sehen gab. Und vielleicht gab es auch nicht immer eine öffentliche Aufführung, weil man sich dann doch nicht traute oder weil der Aufführungsraum fehlte, die passende Ausstattung und Materialien oder schlichtweg die Zeit nicht vorhanden waren.

Im Schuljahr 2011/2012 kam über das Schulministerium das Angebot, dass Schulen sich für ein Pilot-Projekt unter dem Namen „Kulturagenten für kreative Schulen“ bewerben könnten und im Rahmen des Projekts finanzielle und personelle Unterstützung bei dem Prozess der kulturellen Schulentwicklung bekommen sollten. Die Anfrage war so gross, dass unsere Schule leider nicht zu den 30 in Nordrhein-Westfalen ausgewählten Schulen gehörte.

Auf einem Tisch liegen ein Orientierungsplan, Stifte, Blätter, Blüten und Zettel.
Im Projekt BauGeSchichten von Susanne Kudorfer und Bettina Riedrich setzten sich Schülerinnen und Schüler der Schule Suhr mit der Entwicklung ihrer Lebensräume auseinander. © Bettina Riedrich

Da das Interesse des Lehrerkollegiums an dieser Ausrichtung für unsere schulische Arbeit jedoch sehr gross war, wurde beschlossen, dass weiter an dem Thema gearbeitet werden sollte, um eigenständig „kulturelle Schulentwicklung“ zu betreiben.

Eine Arbeitsgruppe beschäftigte sich zuerst einmal mit einer ausführlichen Bestandsaufnahme, bei der noch einmal sehr deutlich wurde, wie viele Bausteine kultureller Bildung es schon an unserer Schule gibt.

Als erstes vorrangiges Ziel wurde erklärt, für mehr Öffentlichkeit innerhalb der Schule zu sorgen, indem beispielsweise ein Terminkalender aller kulturellen Ereignisse eines Schuljahrs oder Halbjahrs erstellt und innerhalb der Schule allen Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und Eltern zugänglich gemacht wird. Ein weiterer Schritt wäre, für mehr Öffentlichkeit innerhalb Wuppertals zu sorgen.

Dies wurde der Lehrerkonferenz vorgestellt, die der folgenden Formulierung „der Kulturausschuss moderiert die kulturelle Weiterentwicklung unserer Schule.“ zustimmte und ebenso den Namenszusatz „die. Kulturschule“.

Und was versprechen wir uns davon, „Kulturschule“ zu sein?

Natürlich steht die Frage im Raum, was wir uns als Lehrerinnen und Lehrer, als Schulleitung und als Kulturausschuss davon versprechen, die „Else“ als Kulturschule aufzubauen, wenn wir eigentlich doch schon eine sind. Und bei der Beantwortung dieser Frage müssen auf jeden Fall die Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt stehen!

Für sieben Wochen hat die Künstlerin Carmela Gander ihr Atelier an die Primarschule Umiken verlegt. In dieser Zeit entstand in der Zusammenarbeit mit dem Kindergarten und den Schulklassen der Primarschule Umiken ein grosses gemeinsames Werk.

Was bringt es ihnen also, an einer Kulturschule zu lernen?

Schule und Unterricht haben sich in den letzten 10 bis 15 Jahren (insbesondere nach der PISA-Studie) stark verändert. Zwar stehen Kompetenzorientierung und eigenständiges Lernen im Vordergrund, was sicherlich eine positive Entwicklung ist, aber an vielen Stellen sind Lehrpläne überfrachtet und Lernen wird auf zentrale Prüfungen und fremdbestimmten Prüfungsstoff in immer weniger zentralen Fächern ausgerichtet. Es bleibt oft wenig Raum für kreative Unterrichtsmethoden und eigenwillige Projekte oder es erfordert den Mut der Unterrichtenden, sich von vorgegebenen Inhalten zu lösen, ohne zu riskieren, die Schülerinnen und Schüler angesichts zentraler Prüfungen nicht ausreichend vorbereitet zu haben.

Dabei haben wir Unterrichtenden in den letzten Jahrzehnten in vielen Fächern so viele interessante und motivierende Unterrichtsmethoden kennengelernt und erfahren, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur mit dem Kopf lernen, sondern mit den verschiedenen Sinnen und durch viele unterschiedliche Aktivitäten. Und dieses Wissen gibt es eigentlich schon viel länger.

Die Schülerinnen und Schüler unserer Schule bringen so viele Kenntnisse und Fähigkeiten aus den vielen verschiedenen Kulturen (ihrer Eltern) und sie bringen individuelle Begabungen mit, die alle unser schulisches Leben bereichern können und sollen.

Manch eine Lernhemmung, Blockade oder auch Unlust fällt weg, wenn im Sprachunterricht gesungen wird, wenn im Deutschunterricht Theater gespielt wird, wenn in Mathematik zum Theaterstück Bühnenmodelle konstruiert werden, die dann im Technikunterricht gebaut werden.

Warum nicht im Sportunterricht tanzen und in Gesellschaftslehre historische Situationen nachspielen?

Gruppe junger Leute beobachtet einen jungen Mann, der im Freien auf einem Sofa liegt und liest.
Vier Oberstufenklassen aus Spreitenbach und Dietikon haben im Rahmen des partizipativen Kunstprojekts „Zwischenzimmer“ den öffentlichen Raum erforscht und ihn durch diverse Kunstaktionen aufgemischt. © Olivia Suter

Selbstbewusstsein und ein facettenreiches Selbstbild entstehen, wenn man sich dann noch darauf vorbereitet, etwas, woran man lange gearbeitet hat, anderen zu präsentieren, sei es ein Text, ein Bild, ein Lied oder ein Theaterstück.

Das heisst, eine Schule, die den Schwerpunkt ihrer Schulentwicklung auf die kulturelle Bildung legt, sollte

  • Schülerinnen und Schülern neue Wege des Lernens eröffnen,
  • neue Zugänge zu traditionellem Unterrichtsstoff herstellen,
  • Fähigkeiten aufgreifen und weiterentwickeln, die die Schülerinnen und Schüler mitbringen,
  • sie motivieren und Spass am Lernen verschaffen,
  • Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, sich selbst umfassender kennen und einschätzen zu lernen.

Was bedeutet die „Kulturschule“ für die Lehrerinnen und Lehrer?

Vielleicht ist der Eindruck entstanden, dass die „Kulturschule“ ein tolles Projekt ist, um das sich die Lehrerinnen und Lehrer kümmern, die an unserer Schule Musik, Kunst, Darstellen und Gestalten (DuG) unterrichten. Vieles von dem, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten an Kreativem und Künstlerischem entstanden ist, kommt wirklich von den Lehrerinnen und Lehrern aus diesen Fachbereichen, da nicht nur unsere Schülerinnen und Schüler viele Begabungen mitbringen, sondern auch viele Lehrerinnen und Lehrer. Und selbst bei den Kolleginnen und Kollegen sind Interesse und Begabungen für Kulturelles und Kreatives grösser und vielfältiger als bisher geahnt – das konnte man deutlich an den vielen kreativen Projektangeboten in der „Bunten Projektwoche“ am Ende des Schuljahrs 2011/12 sehen.

Wenn dieses Potential auch während des Schuljahrs genutzt wurde, könnte auch auf der Seite der Unterrichtenden eine grössere Zufriedenheit entstehen.

Es gilt, sich in den einzelnen Fächern gemeinsam über kreative Methoden und künstlerischen Vorgehensweisen im Unterricht auszutauschen, gemeinsam neue Ideen zu entwickeln und diese auszuprobieren. Was sich motivierend und für Lernprozesse fördernd erweist, sollte bewahrt und weiterentwickelt werden.

Zwei Jungen pflanzen Samen in ein Hochbeet.
Grit Röser und Helen Hagenbuch forschten mit drei Schulklassen der Primarschule Turgi im Forschungslabor „Stadt! Pflanzen! Los!“ zu den Themen Ernährung und Landwirtschaft am Stadtrand, dies in Zusammenarbeit mit der Gartenkooperative Bioco. © Wolkenkratzerkombinat

Was bedeutet es für Eltern, wenn ihr Kind auf eine „Kulturschule“ geht?

Für die Eltern ist es nicht nur so, dass an unserer Schule die Kinder auf vielfältige Weise an kulturelle Bildung herangeführt werden und dadurch ihre eigenen Fähigkeiten in diesem Bereich entdecken und entwickeln können, auch die Eltern selbst haben viele Möglichkeiten, am kulturellen Leben der Schule teilzunehmen und sich selbst mit ihren Fähigkeiten und ihrem kulturellen Wissen einzubringen und zur kulturellen Vielfalt der Schule beizutragen.

Schlussbemerkung

Die Verbesserung des schulischen Lebens im Hinblick auf die Motivation, Lernfreude und Berufszufriedenheit ist sicherlich ein wichtiger Grund, kulturelle Bildung in der Schule zu stärken. Wichtig ist jedoch auch, zu sehen, dass kulturelle Bildung ein demokratisches Recht ist, welches jedem Menschen zusteht, und dass der Zugang zum kulturellen Leben der Gesellschaft eben auch geöffnet werden muss – und das tun wir in unserer Schule mit unserem Weg

Das Literaturverzeichnis finden Sie auf der nächsten Seite.

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Max Fuchs

Max Fuchs, Prof. Dr., ist Erziehungs- und Kulturwissenschaftler. Er war Direktor der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Remscheid und Präsident des Deutschen Kulturrats. Er lehrte Kultur- und Kunsttheorie, Kulturpädagogik und Kulturpolitik an den Universitäten Duisburg-Essen, Basel und Hamburg.

Webseite: https://max-fuchs.org

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Anette Bösel-Fuchs

Anette Bösel-Fuchs ist Gesamtschuldirektorin (im Ruhestand) und war Didaktische Leiterin der Gesamtschule Else Lasker-Schüler in Wuppertal. Sie unterrichtete die Fächer Deutsch, Französisch, Latein und Praktische Philosophie.